Roman Johann Strobl in Bremen






Der sagenhaften Text zur Eröffnungs-Rede stammt von Dr. Veronika Wiegartz, Kustodin im Museum. Das Publikum waren hingerissen von dem Vortrag.


Roman Johann Strobl; „Die Solistin“, Pavillon, 7. August bis 6. Oktober 2013

Kein Bremer, sondern lebt in Hannover.

1951 in Kitzbühel geboren, kommt er aus einer traditionellen Bildschnitzerfamilie, erlernte das Handwerk bereits mit 14 Jahren in der Werkstatt seines Vaters.

Arbeitet in vielen Materialien, malt auch. Holte sich in den 1970er-Jahren Anregungen in Indien, im Irak und auf Kreta. Kehrte dann aber quasi zu einem Kulminationspunkt der europäischen Plastik zurück: Ging in den 1980er-Jahren nach Italien und dort auch nach Rom, wo er sich bei verschiedenen Bildhauern fortbildete und vermutlich ja auch den historischen Bestand nicht außer Acht ließ. Jedenfalls wandte er sich damals dem Marmor zu.

Anfangs der 1990er-Jahre wieder eine stärkere Hinwendung zum Holz.

Drei Facetten in seinen jüngeren Holzarbeiten:

1) kleine spielerische, gauklerische Figuren, in einem gröberen Schnitzstil. Häufig von heiter-anekdotischem Charakter, in dem sie z.B. Berufsstände darstellen. Ärzte, Juristen, Banker oder Köche findet man da zum Beispiel.

2) Lebensgroße (aber auch mittelgroße Figuren), die ab den späten 1990er-Jahren Arbeiten mit der Kettensäge entstanden sind. Ein Werkzeug, mit der Roman Johann Strobl offensichtlich sehr virtuos umgehen kann. Auch kleinere Details werden ausschließlich mit dem ja nicht gerade ganz handlichen Werkzeug herausgearbeitet. Durch die Säge mit ihren geraden Schnitten entstehen Figuren von einem etwas kantigen Duktus.

Wichtige Idee bei diesen Arbeiten, die wir auch später an der hier ausgestellten Skulptur beobachten werden, ist die Überlängung  der Gliedmaßen; eine starke Verschlankung der Gestalten. Das Spiel damit, bis zu welchem Maße sich die Formen in Holz mit dem elektrischen Grobwerkzeug ausdünnen lassen, ohne dass das Material bricht.

Husarenstücke sind Porträts bekannter Persönlichkeiten, die er mit der Kettensäge vor Publikum aus dem Holz herausarbeitet, zum Beispiel das von Gerhard Schröder auf der Expo 2000.

3) weibliche Akte mit einer stark geglätteten Oberfläche und akkurat ausgearbeiteten Details. Nun wieder mit Stechbeitel und Schnitzmesser. Zu dieser recht jungen Gruppe gehört auch die in diesem Jahr eigens für den Pavillon geschaffene „Solistin“. Eine ähnlich anmutende Figur trägt den Titel „Nackter Tanz“

Allen Figuren gemein: starke expressive Übersteigerung der Form sowie die Darstellung von Bewegung mit einer raumgreifenden Gestik.

Bewegung

Nun aber zur „Solistin“ selbst: Ein spontaner Eindruck beim Eintreten: „Die ist aber manieriert!“, trifft die Sache im Kern. Tatsächlich werden sofort Erinnerungen an die „Figura serpentinata“, wach, die ein Liebeskind des Manierismus war.

Der schöne Begriff der „sich schlängelnden Figur“ stammt aus dem 16. Jahrhundert und ist erstmals im Kontext der Malerei überliefert.

Janpaolo Lomazzo erwähnt ihn in seinem „Traktat der Malkunst“. Gemeint war damit vor allem eine bewegte Figur, die über Anmut und Leichtigkeit verfügte. Ihre Idealgestalt verfügte nach Lomazzo über drei Qualitäten: eine Pyramidenform, eine schraubenförmige Bewegung sowie ein bestimmtes numerisches Proportionsverhältnis. Als Gewährsmann galt ihm dafür Michelangelo. Und Auslöser dieser Gedanken über Kompositionsprinzipien soll der Fund des berühmten Laokoon 1506 in Rom gewesen sein, der Michelangelo schwer beeindruckte. In seinem „Sieger“, der für das Grabmal Julius II gedacht war und sich heute im Palazzo Vecchio in Florenz befindet, nahm er die Kompositionsprinzipien auf. Aber auch Giambolognas „Raub der Sabinerinnen“ gilt als Paradebeispiel der „figura serpentinata“.

Und in der „Solistin“ stehen wir nun vor einem jüngeren Beispiel dieser Gattung.
Starke Spiralbewegung in der Figur: zieht sich vom nach rechts gezogenen linken Bein bis hin zur nach hinten gezogenen linken Schulter. Wodurch es vor allem im Bereich der Taille zu einer starken Drehbewegung kommt.

Was daraus entsteht, ist eine Sogwirkung. Der Betrachter wird um die Figur herumgezogen.
Ein Umstand, der auch ihrer Solitärwirkung gerecht wird.

Der Betrachter kann sie nicht nur von allen Seiten betrachten, weil Platz um die Figur herum ist.
Er will sie auch von allen Seiten betrachten, weil sich aus jeder Ansicht stets auch auf einer tieferen, hinteren räumlichen Ebene sichtbare Elemente der Figur befinden, die neugierig machen.



Die Drehbewegung ist nicht die einzige Bewegung in der Figur. Daneben zeichnet sie sich durch starke Zickzackbewegungen aus. Von vorne entlang des Nackens, des rechten Arms, des linken Ober- und des linken Unterschenkels. Von rechts, etwas gemäßigter, dafür kleinteiliger: Vom Nacken, über die Schulter, den Rücken, das Gesäß, den rechten Ober- und rechten Unterschenkel. Auch auf der linken Seite der Figur lässt sich eine solche Linie finden, nur von hinten nicht.

Von hinten jedoch wird deutlich, aber es gilt auch für alle anderen Seiten: die Figur ist aus der Achse ihres Schwerpunktes gezogen. Obwohl die Schwerpunktlinie ausgehend von Kopf und Hals aus jeder Ansicht immer in der Mitte des Holzblocks landet, steht sie dort nicht, sondern hat ihren Fuß, balancierend auf Zehenspitzen, an den Rand des Blocks gesetzt. Aus dieser Verschiebung ergibt sich, dass die Figur nicht ruht, nicht lastet, sondern, in Bewegung begriffen, driftet und schwebt.

Eine Figur folglich, die mit Bewegung spielt, über vielfältige Linienbezüge verfügt und auf das Extremste durchkomponiert ist.

Natur

Die Figur lebt einerseits von einer starken Naturnähe: wir sehen fein ausgearbeitete Ohrmuscheln und einen Mund mit Zähnen; Hautfalten in der Taille, Schulterblätter und einige Wirbel, Knöchel und Sehnen an Händen und Füßen. Überhaupt erscheint die Figur wie eine getreuliche Sichtbarmachung der typischen, menschlichen Morphologie.

Aber der genaue Blick entlarvt natürlich ebenso die Überzeichnung und bewusste Proportionsverschiebung: Ein winziger Kopf mit einem nach vorne gezogenen Gesicht, eine Wespentaille, viel zu lange Beine, riesige Hände und Füße, die dadurch zum Ausdrucksträger werden. Auf den Extremitäten, die die Bewegung suggerieren, liegt ein inhaltlicher und formaler Schwerpunkt.

Diese Figur verfügt über eine maximale, expressive Ausstrahlung!

Dieser Widerspruch zwischen „Natur“ und „Maniera“ wird auch noch einmal über den Umgang mit dem Material aufgenommen.

Das Holz ist sehr stark geschliffen und geglättet, samtig, fast handschmeichlerisch; über den dunklen Ton der geflammten Linde erinnert es an dunkle Haut. Dieser natürlichen Anmutung stehen Risse im Holz gegenüber, die zwar gefüllt sind, aber einen Spalt stehen lassen, oder auch Verleimungsnähte, an denen gegenläufige Maserungen des Holzes aufeinanderstoßen. Solche Spuren brechen den „soften Touch“ der Oberfläche wieder auf.



Ausdruck

Das, was wir sehen, verbindet sich in unserem Kopf zu der Gestalt einer Tänzerin. Der muskulöse, durchtrainierte, extremer Bewegungen fähige Körper lässt keine andere Assoziation zu.

Ihr Kopf ist klein,  aber das Gesicht ist betont. Die halbgeschlossenen Lider und der halbgeöffnete Mund signalisieren einen trancehaften Zustand, in dem sich die Figur bewegt. Sie ist alleine, wie der Titel schon sagt, aber sie ist ganz bei sich. Mag sie um ihre Solistenrolle auch wissen, so nimmt sie den Betrachter doch nicht war. Wir werden zum Voyeur. Aber die aufregende Machart und Ausstrahlung der Figur lässt uns das vergessen.

Viel Freude beim Gucken!

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